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Nach(t)kritik

Do, 12.10.2023
20.00 Uhr

Tonspielplatz - Eltern haften für ihre Kinder

Veranstaltung: Camille Bertault & David Helbock: PLAYGROUND

‚Playground‘ heißt das gemeinsame Musikprojekt der französischen Sängerin Camille Bertault und des österreichischen Pianisten David Helbock, die beide bereits feste Größen der jungen europäischen Jazzszene sind und sich genau auf diesem titelgebenden Spielplatz der musikalischen Experimentierfreude treffen. Wie vielfältig die Ergebnisse einer solchen Freude am musikalischen Spielen werden können, beweisen die beiden Musiker:innen dem Publikum direkt zu Beginn. Camille Bertault scattet rast- und mühelos durch mehrere Oktaven, schnalzt, raunt, haucht und singt die  Tonfolgen und erschafft nur mit ihrer Stimme eine unglaubliche Klangvielfalt. Mal wird diese Vielfalt durch elektronische Effekte oder dem vor dem Mund Hin- und Herbewegen des Mikrofons noch verstärkt.
David Helbock steht ihr dabei in keiner Weise nach, auch er benutzt den Flügel in vielfältiger Weise, greift selbst in die Saiten, klopft gegen den Korpus und benutzt unter anderem Rasseln für improvisierte Percussionelemente oder verfremdet die Töne durch elektronische Effekte, die den Flügel in ganz ungewohnten Arten klingen lassen. Dabei entstehen faszinierende Klangmuster, mit denen sich die beiden Musiker:innen durch eine Vielfalt an Genres und musikalischen Kontrasten bewegen.
Camille Bertault verspricht direkt zu Beginn des Konzertes: „You will travel a lot!“. Und so machen sich die beiden zusammen mit dem Publikum auf eine musikalische Reise von eigenen Kompositionen über Interpretationen bekannter Jazzgrößen wie Thelonious Monk und Egberto Gismonti bis hin zu einer augenzwinkernden Übersetzung klassischer Barockmusik. Diese Vielfalt spiegelt sich auch im Sound des Duos wieder: durch Loop-Maschinen entstehen dichte Klangteppiche, in denen sich mal dem Pop entliehene Harmoniefolgen, mal experimentierfreudige Disharmonien verweben - nur mit dem Flügel und der Stimme füllen beide den Saal mit dem Sound einer ganzen Band. Diese Freude am gemeinsamen Erforschen verschiedener Klangfarben war ausschlaggebend für die Zusammenarbeit, für die beide anfangs aus verschiedenen musikalischen Richtungen kommend zuerst einen gemeinsamen Geschmack finden mussten, so erzählt Camille Bertault. Dabei entstanden viele Eigenkompositionen wie beispielsweise ‚Lonely Superman‘ oder ‚Aide-moi‘, bei denen man beiden auf der Bühne die Freude am Zusammenspiel direkt ansah, wenn sie sich die musikalischen Bälle hin und herwarfen, sich gegenseitig zuhörten und aufeinander eingingen.
An die zuerst provokant wirkenden Klangwelten hatte man sich nach der Pause bereits gewöhnt und konnte sich bewusst darauf einlassen - das Ergebnis war ein wunderbar kurzweiliger Abend. Besonderes Highlight war eine Interpretation von Björks ‚New World‘ aus dem Film ‚Dancer in the Dark‘ des dänischen Regisseurs Lars von Trier, mit welchem das Duo das Publikum nach der Pause im Saal zurück empfing.
Auf diesem Spielplatz, ihrem ‚Playground‘, finden beide Musiker:innen in ihrer Freude am Zusammenspiel zueinander - passender hätte man das gemeinsame Musikprojekt nicht nennen können. Durch das Ineinanderwirken der Talente beider Musiker:innen und durch den Austausch ihrer jeweiligen einzigartigen Fähigkeiten entsteht Musik, die Lust auf mehr macht. Die Leichtfüßigkeit, die sie auf der Bühne ausstrahlen, ist neben ihrer Virtuosität dabei vielleicht das größte Kunststück des Abends.

Amos Ostermeier, 13.10.2023


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 12.10.2023 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.